Kinder sind das Größte auf der Welt. Jetzt werden sie erwachsen. Wie es sich für Mama anfühlt, wenn aus Kindern Leute werden und das Mamasein doch nie aufhört. Gedanken zum heutigen Geburtstag von Lieblingstochter Carline (1 Kind von gefühlt 3).
„Ich bin immer für Dich da.“ Das hat mir meine Tochter auf die Rückseite eines kleinen hölzernen Spielzeug-Verkehrsschildes geschrieben. Das Verkehrszeichen 239 kennzeichnet einen Gehweg und zeigt Mutter und Kind Hand in Hand.
Damals war mein Hänschen klein in die große Welt hineingegangen, raus aus dem Bannkreis einer Mutter, die erstaunlicherweise auch Augen im Rücken hatte. Das Kind versprach Fürsorge, für den Fall, dass bei der zurückbleibenden Mama etwas schiefläuft. Sie war schließlich nicht mehr die Jüngste.
Eltern sorgen schon für sich selbst
Ich fand das rührend. Ebenso wie so manche besorgte Nachfrage: „Kann ich dir helfen?“ oder „Soll ich vorbeikommen?“ Was Kinder nicht wissen, wenn sie sich um ihre älter werdenden Mütter und Väter sorgen: Man bleibt immer Eltern – eine Spezies, die weiß, wie man Dinge verlässlich regelt. Dafür wurden wir früher bewundert. Wie Leben funktioniert, verlernt man nicht, bloß weil die Kinder aus dem Haus sind. Ich habe mein Leben so organisiert, dass ich im Bedarfsfall mein Kind nicht erst Hunderte Kilometer durch die Republik jagen muss.
Frech wie Dreck war gestern
Der Verzicht auf Fürsorge hat auch nichts mit einem möglichen Verlust des Elternnimbus zu tun. Seinen Heiligenschein hat man bei Kindern eh spätestens während ihrer Pubertät eingebüßt. Es ist vielmehr so: Kinder, die das Hotel Mama verlassen, sind noch lange damit beschäftigt zu lernen, für sich selbst Verantwortung zu übernehmen.
In der Kindheit noch frech wie Dreck und mutig wie Pippi Langstrumpf, sind sie auf sich gestellt oft unsicherer und ängstlicher als früher, ein wenig unbeholfen und zunehmend nachdenklich. Es ist einfach unsinnig, Kinder, die sich in der Erwachsenenwelt noch zurechtfinden müssen, mit dieser Ich-bin-immer-für-dich-da-Verlässlichkeit zu überfordern.
Entschuldigung für schon wieder Scherben
Wie bisher beim Großwerden brauchen sie Mutmacher und Erklärbären. Jemanden, der verlässlich im Hintergrund für sie da ist und hinter ihnen die Scherben aufkehrt, wenn sie Mist gebaut haben. Auch wenn es nur um Orgakram geht. Kinder in dieser Phase mit eigenen Problemen zu behelligen, bringt nichts. Davon haben sie selbst genug.
Irgendwann hören die Panikanrufe auf
Irgendwann kommt tatsächlich der Moment, an dem man merkt: Das Kind muss mich nicht mehr so oft fragen, wie das Leben funktioniert. Mama muss keine Bewerbungsanschreiben mehr redigieren oder Magisterarbeiten Korrektur lesen. Panikanrufe wegen überzogener Konten werden seltener, und wichtige Entscheidungen trifft das Kind ohne Beratung mit Mama. Es teilt das Ergebnis lediglich noch mit.
Raus aus der Mutter-Kind-Rolle
Offensives Bemuttern ist eines Tages nicht mehr erforderlich. Und ehrlich: Ich bin froh, mich nicht mehr so oft um alles Mögliche kümmern zu müssen. Inzwischen kann ich mein Kind ebenfalls mal um Rat und Hilfe fragen. Das ist für eine Mutter ein schöner Moment. Und ich hoffe sehr, dass es für meine Tochter kein trauriger Moment ist.
Es ist schön, gemeinsam älter zu werden. Ich empfinde es als ein glückliches Gleichgewicht zwischen Eltern und Kindern, gleichberechtigt Leben zu teilen und füreinander dazusein, gemeinsam Neues zu entdecken und sich umeinander zu sorgen. Das Geben und Nehmen wird eines Tages die Basis für den Zusammenhalt sein, wenn ein wirklicher Ernstfall das Gleichgewicht wieder verschiebt.

Session von Mutter und Tochter auf der re:publica 2015 Foto: Timo Stoppacher
Trotzdem: Mama bleibt Mama
Das bedeutet jedoch nicht, dass Mama weniger Mama ist. Wenn ich mit Wünschen zur Regelung von Vorsorgeangelegenheiten ankomme, weil man tatsächlich älter wird, will meine Tochter nichts davon wissen. „Ach, ist es wieder soweit?“, lautet die Reaktion. Man bleibt eine nicht wegzudenkende Konstante im Leben von Kindern. Und das ist voll in Ordnung.
Ich habe meiner Tochter das Verkehrszeichen neulich zurückgeschenkt und draufgeschrieben: „Ich bin immer für Dich da.“
Mama bleibt Mama. Immer.
Link:
Und hier die andere Sicht von Katharina Hölter
Sehr berührend und anregend. Ein sehr schöner Artikel!
Ganz genau so ist es!!! Der Artikel ist nicht neu. Hat aber an Aktualität nicht verloren.
Oh, der Artikel ist vom Mai? Ahem, ich hänge mit den Artikeln im Feedreader *wirklich* ziemlich hinterher.
Vielen Dank für den schönen Artikel!
Falls mein Vater tatsächlich jetzt (mit 80!) seinen ersten Computer kauft, werde ich ganz sicher Dein Blog zur Lektüre empfehlen 🙂
Viele Grüße,
Klaus