Staunend zwischen Flirtlounge und Dessousreklame. Ein Besuch im Netzwerk Seniorbook.

Glaubt bloß nicht, dass ein soziales Netzwerk mit dem Namen seniorbook altbacken und betulich ist. Natürlich kann man dort neue Freunde zum Wandern finden, sich über Diabetes austauschen und die Fotowand mit stimmungsvollen Naturaufnahmen bestücken. Doch den Kick zwischen Reklame für Reizwäsche und Zahnersatz liefern Themen rund um Liebe und Partnerschaft. Es gibt auch eine Flirtlounge oder Einladungen zu Nutzertreffen im Swingerclub. Seniorbook ist auch ein bisschen „wie die Bier, die so schön hat geprickelt in mein Bauchnabel.“

Liebesschlösser Köln

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Wo bitte geht es zu den Senioren?

Soll die Netzsschickeria doch Ello testen. Ich bin „Damals benutzten wir noch Tippex Jahre alt“ und habe mir seniorbook angeschaut, das mir verspricht, „viele neue Menschen im besten Alter – 50plus – kennenzulernen. Zum Chatten oder für gemeinsame Aktivitäten“. Seit September 2012 ist dieses neue Netzwerk online. Die Begrüßung nach der Anmeldung ist buchstäblich spitzenmäßig: Vor meinen Augen bannert Werbung für schwarze Spitzentangas, Mieder und Büstenhalter. Wo war ich noch mal?

Mister Nobody: hi Ilse schreiben wir?

Kaum da, meldet sich jemand, obwohl ich im Profil noch null und nix ausgefüllt habe. Verschreckt wechsele ich aus dem Ordner für Kontaktanfragen vom Mister Nobody ohne Klarnamen in die Rubrik Mitglieder und suche tapfer nach Menschen in meiner Umgebung. Wird mir doch in Aussicht gestellt, dass seniorbook „genau die richtige Community“ für mich ist, „wenn Sie neue Freundschaft und Kontakt in Ihrer Stadt suchen, um andere Best Ager mit Erfahrung kennenzulernen.“ Dabei kann man gezielt Leute auf Partnersuche und nach angegebenen Interessen selektieren. Es juckt mir in den Fingern. „Go Mama!!“, kommentiert meine Tochter.

Charmante Gespräche in den Chaträumen

Chat hört sich zwar ein bisschen 90er an, aber die Auswahl ist groß. Café, Tanzfläche, Stammtisch, Kaminzimmer, Themenchat – und Flirtlounge, der Ort für „charmante Gespräche in entspannter Atmosphäre“. Die Chats werden fürsorglich flankiert durch Hinweise auf Umgangsformen, Paten und die Möglichkeit, Verstöße und Trolle zu melden. In der Flirtlounge scheint viel los zu sein. Bevor sich mir dort der Mehrwert offenbart, bin ich selbst entdeckt und erhalte den ersten freundlichen Annäherungsversuch, „würde gerne mit dir schreiben.“ Huch.

Vorsicht ist die Mutter der Porzellankiste

Es dauert nicht lange und seniorbook informiert mich, wer inzwischen mein Profil besucht hat. Wie gut, dass ich noch nicht den knappst bekleideten Typ angeklickt habe. Schon wieder verschreckt sehe ich, dass auch jemand von seniorbook auf meiner Profilbesucherliste steht. Huhu. Selbstverständlich benehme ich mich hier. Ich finde irgendwo die Einstellung zur Sichtbarkeit und schalte sofort ab, dass mein Besuch auf anderen Profilen angezeigt wird. Dann klicke ich auf den Nackedei. Verheiratet. Auf Partnersuche.

Sexy eyes

Die Fotowand bietet neben Landschaft und Natur, Tieren und Kultur usw. auch die Rubrik Erotik. Die Selfies sind teils grottenschlecht. Aber nix unterhalb der Gürtellinie. Warum diese Bilder von Reklame für Solaranlagen und ein Kinderhilfswerk begleitet werden, verstehe ich nicht. Aber die Werbung für schwarze Spitzendessous an anderer Stelle ergibt jetzt Sinn. Das offenbart auch der Blick auf das Schwarze Brett, auf dem man nach Belieben posten kann: Links zu Popstars der 80er und aktuellen Zeitungsartikeln beispielsweise, oder Notizen über Alltagskram und wenig aussagekräftige Befindlichkeiten wie in jedem anderen Netzwerk auch.

Notizen und Fragen aber über Mann-und-Frau-Gedöns und amouröse Prickeligkeiten lösen besonders viele Interaktionen aus. Dafür sorgen im übrigen nicht nur die Nutzer, sondern auch das Community Team von seniorbook selbst mit Fragestellungen wie: „Erotische Phantasien – Sollte man sie ausleben?“ – oder „Ist Treue eine Frage des Alters?“

Mitten aus dem Leben

„Seniorbook holt Menschen mitten aus ihrem Leben ab und hilft, gemeinsame Interessen zu entdecken und neue Kontakte zu knüpfen.“ Challenge accepted. Auf der Suche nach sinnvollen Kontakten durchstöbere ich die Rubrik Nutzertreffen. Stammtische von Sixties haben sich regional gebildet, Bowlingpartner werden gesucht und Interessenten für gemeinsame Ausflüge. Darunter auch: ein Vorschlag für den gemeinsamen Besuch eines Swingerclubs.

Mit der selbst gestellten Aufgabe, nun wenigstens einen ernsthaften Kontaktversuch zu unternehmen, tauche ich ab in die Themengruppen. In der Rubrik Computer und Technik entdecke ich erfreut eine Frau, die schlaue Dinge über Social Media schreibt. Ein motivierter Klick auf ihr Profil: Es ist eine Mitarbeiterin vom Community Team von seniorbook. Ich kann ihr auch auf Twitter folgen. Und jetzt weiß ich auch nicht.

Liebe sb-ler

Irgendwo hatte ich über seniorbook gelesen: „Seniorbook ist für die beste Zeit im Leben.“ Nach meiner ersten Erkundungswoche habe ich irgendwie das Gefühl, dass ich für diese Zeit noch nicht reif bin. Oder ich bin versaut durch andere Netzwerke. Oder ich muss mir realistischerweise mehr Zeit nehmen und Mühe geben, bis sich der Wert der Vernetzung in diesem Portal erschließt. Das war hüben und drüben schließlich auch nicht anders.

„Seniorbook wendet sich an Menschen, die Lebenserfahrung und Wissen mit anderen teilen wollen, die sich für ihre Mitmenschen interessieren, einander helfen und der Gesellschaft etwas zurückgeben wollen.“ Schaun wir mal. Auffällig ist bei seniorbook in jedem Fall die wohltuende Übersichtlichkeit und ein aktives Community Team, das sich rührend um seine lieben sb-ler kümmert. Das macht den Einstieg leicht. Und – bei Bedarf – die Partnersuche.


Seniorbook über sich selbst

Die Seniorbook AG wurde im Juli 2011 von den Vorständen Thomas Bily und Markus Erl gegründet. Die Seniorbook AG ist zu 100 Prozent privat und unabhängig finanziert. Das Unternehmen beschäftigt derzeit 17 feste Mitarbeiter an den Standorten München und Plattling.

Seniorbook ist das erste wirklich soziale Netzwerk: seniorbook wendet sich an Menschen, die Lebenserfahrung und Wissen mit anderen teilen wollen, die sich für ihre Mitmenschen interessieren, einander helfen und der Gesellschaft etwas zurückgeben wollen. seniorbook holt Menschen mitten aus ihrem Leben ab und hilft, gemeinsame Interessen zu entdecken und neue Kontakte zu knüpfen.  https://www.seniorbook.de/inhalt/b2b

Es handelt sich um ein soziales Netzwerk zur dauerhaften gesellschaftlichen Integration, Kommunikation und Vernetzung sowie zur aktiven Bereitstellung, Nutzung und Wertschätzung des Wissens und der Erfahrung der seniorigen Mitbürgerinnen und Mitbürger in Deutschland. Die jeweils registrierten Nutzer können für den Aufbau und die Pflege von Freundschaften miteinander Kontakt aufnehmen und miteinander kommunizieren. www.seniorbook.de richtet sich hierbei primär an Personen ab einem Alter von 40 Jahren. https://www.seniorbook.de/inhalt/nutzungsbedingungen

Die Entwicklung von Seniorbook

„Bisher sind über 170.000 registrierte Nutzer innerhalb von 2 Jahren dem Netzwerk beigetreten. Anders als bei den meist auf die jüngere Zielgruppe zugeschnittenen Sozialen Netzwerken steht bei seniorbook nicht das Online Vernetzen mit Offline Kontakten im Vordergrund, sondern das Online Vernetzen mit neuen Kontakten und anschließende Treffen in der realen Welt.“ http://www.absatzwirtschaft.de/so-wichtig-ist-die-generation-silver-surfer-wirklich-41363/

Nach Hochrechnungen von Similar Web und Recherchen von MEEDIA hat das deutsche Netzwerk Seniorbook in jüngster Zeit kräftig zugelegt: Mit etwas mehr als 900.000 Visits belegt es im Dezember 2014 Platz 24 der in Deutschland am häufigsten genutzten sozialen Netzwerke. Gegenüber dem Dezember 2013 bedeutet dies eine Zunahme um 187,4 Prozent. Allerdings resultiert das Plus nach Angaben von MEEDIA vor allem daraus, dass werkenntwen seinen Mitgliedern nach dem Aus Seniorbook empfahl. Zum Vergleich: Facebook kam im Dezember vorigen Jahres auf 635,5 Millionen Visits und lag damit auf Platz 1. Mit weitem Abstand folgen Google plus und Twitter.

Die TAZ über Seniorbook

Kater. Sonnenaufgang. Baumschnitt. Daniel Bouhs in der TAZ über Seniorbook.

5 Gedanken zu „Staunend zwischen Flirtlounge und Dessousreklame. Ein Besuch im Netzwerk Seniorbook.

  1. Das Problem wir uns wohl die nächsten Jahre begleiten. Immer mehr Partneragenturen werden aus dem Boden schiessen, und damit immer mehr, die sich irgendwo, irgendwie bereichern müssen. Gerade im Chat ab 50 muß man genau hinschauen, wo man was sagt. Ich habe das jetzt erst wieder am Wochenende erlebt, als ich meiner Mutter mal wieder erklärt habe, das nicht jeder Gesprächspartner auch real ist. Ich war entsetzt was sie bereits alles bereitwillig erzählt hatte. Jetzt darf sie nur noch an von mir kontrollierten Seiten wie z.B. 50plus chatten. Statt Kindersicherung braucht der PC ne Seniorensicherung

  2. Ich kann Maruli nur mehr als bestätigen! Wer bei SB, also Seniorbook, einer recht kleinen, aber gefährlich mächtigen Clique nicht ins Konzept passt, wird blitzschnell zuerst beleidigt (ging bei mir wegen meines polnischen Nachnamens bis zu Angeboten einer Fahrkarte nach Galizien (dort liegt bekanntlich das Herzogtum Auschwitz) und danach gesperrt. Ohne präzise Begründung – ohne klare Fristnennung – ohne Interesse, seine Eigenmächtigkeit bitteschön zu erklären. Die eigenen Hetzer genießen Totalschutz, wer „zu kritisch“ wird, wird liquidiert.
    Besonders bedauerlich ist das insofern, als SB mal sehr vielversprechend begann: Spannende Themen, frische Ideen, gelungene klare Grundkonzeption. Mittlerweile ist daraus über weite Strecken ein Mix aus Intimschnüffelei (z.B. zu Themen wie „Sexpraktiken“ oder „Trinkt Ihr am Rechner schon mal Alkohol?“) und „Erotikfotos“ oft auf dem Niveau schmuddeliger früherer Bahnhofskinos geworden, wobei bei mir viele der immer zahlreicher werdenden Umfragen das ungute Gefühl erzeugen, dass hier Daten gezielt abgefischt und insgeheim weiterverwendet werden, doch das ist wie gesagt nur ein Bauchgefühl. Anscheinend haben die beiden Betreiber inzwischen Geld geleckt und nun Lust auf mehr?! Mir kann’s egal sein – ich bin raus und nun bei Facebook bestens versorgt, doch für Neuinteressenten ohne Spaß an Leuten mit ausgeprägter Intoleranz und Blockwartmentalität dürfte SB eine denkbar schlechte Wahl werden. Wer jedoch in jedem Flüchtling einen halben Heiligen sieht, zudem als Jubelperser begabt und gegenüber SB sklavisch bewundernd ist, für den dürfte Seniorbook ein guter Griff sein – als Biotop für Sozialromantiker, ultra-naive Gutmenschen und selbsternannte Hexenjäger/innen. Ach ja: Und man sollte bitte ein Demokratieverständnis à la Franz Josef Strauß mitbringen – dann „passt’s scho‘!“;)

    • Vielen Dank für den Kommentar.
      Ich hatte erwogen mich in Seniorbook zu registrieren, auch wenn mir gar nicht gefallen hat, dass man dort seinen Klarnamen angeben soll. Nachdem ich aber deinen und noch viele andere Kommentare im Netz gelesen habe, die allesamt negativ waren, sehe ich davon ab mich dort anzumelden.

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