Silvernerd. Der Begriff muss sich noch einbürgern. Aber wenn ihn schon ausgebuffte Onliner für experimentierfreudige Senioren benutzen, ist mir um die Zukunft der Generation 50plus im Netz nicht bange. Silversurfer war gestern. Silvernerds machen die Internettapete bunter. Sie wollen das Netz nicht den Digital Natives allein überlassen, sondern mitgestalten. „Mehr Silvernerds für unsere Gesellschaft“, wünscht sich Michael Praetorius. „Wir brauchen Silver-Nerds, nicht nur Silver-Surfer, die sind ganz wichtig“, sagte er kürzlich in einem Interview für das Buchmesse Blog. Warum? Meine Fragen beantwortet er in diesem Blog.
Was ist ein Silvernerd?
Michael Praetorius: „Silvernerds sind die Steigerung der Silversurfer. Ich finde den Begriff Silvernerd nicht abwertend. Im Gegensatz zu den Silversurfern sind Silvernerds keine grauhaarigen älteren Internetnutzer, die angefixt von ihren Kindern und Enkelkindern nun auch Facebook entdecken oder schon seit Jahren bei eBay einkaufen oder wissen, was die zwei Häkchen bei Whatsapp auf dem Smartphone bedeuten.
Silvernerds befassen sich viel tiefer mit der Materie von technischen Geräten, neuen vernetzten Internetplattformen und vor allem mit einer digitalen Kultur und den damit verbundenen Lebensräumen. Genau wie jüngere Nerds werden sie damit aber von gleichaltrigen Freunden und Kollegen kaum verstanden – sie sind eben Nerds. Sie lachen über dieselben Internetwitze wie jüngere Nerds, sie kennen Grumpy Cat und dutzende Tumblr mit Animated Gifs, sie lesen die Blogs von Johnny Häusler, Sascha Lobo, Mashable und Netzwertig und werden über allem selbst aktiv.
Silvernerds gestalten die Netzkultur aus der Perspektive einer anderen und längeren Lebenserfahrung: Sie bloggen, sie diskutieren bei Twitter mit, sie „hacken was aus“ oder sie backen auch mal wie Silvernerd Ilse Mohr einen Instagram-Kuchen und Spotify-Plätzchen, weil das bei Twitter irgendwann mal thematisiert wurde. Sie leben das Netz und seine spontane, schnelle und vernetzte Kultur. Warum sind Silvernerds wichtig?
Michael Praetorius: In der alten Industrie ist Deutschland Exportweltmeister, in der digitalen Wirtschaft können deutsche Unternehmen oft nur Ideen kopieren: XING, StudyVZ, Zalando oder Dawanda. Es finden sich kaum Investoren für wirklich neue Ideen. Deutschland wird alt.
Die Transformation von alten Geschäftsmodellen scheitert oft an mutigen Ideen und dem Verständnis für neue Technologien und vernetzte Organisationsstrukturen. Kein Wunder, dass Unternehmen auf dem Land keine Fachkräfte finden: Niemand möchte mit einer Internetgeschwindigkeit leben, bei der man schneller den Nachbarn gefragt hat, als etwas bei Wikipedia nachzusehen. Ebenso uninteressant sind für junge, kreative Köpfe Arbeitsplätze, an denen der Zugang zu sozialen Netzwerken gesperrt ist. An Schulen sind Smartphones als digitale Hausaufgabenhefte verboten und Schulbuchverlage stecken mit Lernapps noch in den Kinderschuhen.
Die Bevölkerung in Deutschland ist deutlich älter als in den Ländern, aus denen technologische und damit verbundene soziale Revolutionen über uns hereinbrechen. Dieses Dilemma können wir nur auf drei Arten lösen: Wir haben Sex, Sex, Sex und machen Kinder, bis sich die Balken biegen; wir holen viele junge innovative Menschen aus dem Ausland zu uns; oder wir vermeiden den digitalen Generationenkonflikt und machen aus unserer alt werdenden Gesellschaft ein Land der Silvernerds, die auch mit grauen Haaren die Zukunft aktiv mitgestalten können und Ahnung davon haben, wenn sie netzpolitische oder netzökonomische Entscheidungen treffen.
Ich wehre mich gegen eine Spaltung der Gesellschaft in Onliner und Nonliner. Netzpolitk ist in Deutschland Hinterbänklerpolitik, Angela Merkel ist Königin von Neuland und der Verleger Dirk Ippen sagte kürzlich auf den Medientagen 2013, die Jugend sei ein großes Problem. Wo sollen wir denn da anfangen? Wir brauchen neben den Digital Natives auch Digital Immigrants in diesem Neuland, die in das Landesinnere vorstoßen wollen und nicht nur am Souvenirladen hinter der Grenze wieder umkehren.
Wie wird man Silvernerd?
Michael Praetorius: Silversurfer müssen Teil der digitalen Gesellschaft werden. Sie müssen sich mit Freunden vernetzen, interessanten Persönlichkeiten in Netzwerken folgen oder selbst ihre digitale Persönlichkeit im Netz entwickeln, um für andere ein Vorbild zu sein. Sie sollten auf Barcamps gehen oder welche organisieren (ich wäre für ein Silvercamp), YouTube-Sendungen produzieren, bloggen, vielleicht auch noch ein Unternehmen gründen. Für Silvernerds gelten dieselben Tipps wie für junge Menschen.
Ich bin sehr dafür, den Mamas, Papas, Omas und Opas, die zwei Jahre alten Rechner und Smartphones zu schenken und sich mit ihnen hinzusetzen und ihnen das Netz zu erschließen. So, wie sich unsere Eltern mit uns Kindern vor den Fernseher gesetzt haben, um Pumuckl und Alf zu schauen. Jetzt sind wir an der Reihe, die Medienerziehung zurückzugeben.
Ilse Mohr: Silvernerds sind die Generation nach den Silversurfern.
Sabine Kern: Silvernerd: „Das hat so etwas Experimentierfreudiges und Jugendliches.“
Ein ganz wunderbarer Begriff, vielen Dank für diesen Text. Ich bin zwar nur knapp über 40 und noch eher golden, fühle mich aber dennoch genau wiedergespiegelt, toller Artikel!
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