Fürs Internet und soziale Netzwerke ist niemand zu alt. Das sagt sich so leicht, aber leicht ist es nicht. In der Generation Silversurfer gibt es nicht nur Skepsis gegenüber einer digitalen Lebenswirklichkeit, es lauern auch haptische, technologische und soziale Kompetenzhürden. Jüngere Onliner, die ihre noch webfernen Eltern und Großeltern ins Netz bringen wollen, brauchen Geduld. Viel Geduld. Und verdammt gute Antworten auf die Frage: „Was soll ich denn da?“
Eine rege Diskussion beim StARTcamp Ruhr York im Zentrum für Kunst und Kreativität „Dortmunder U“ über das Thema „Senioren im Netz“ zeigte, wie komplex sich der Brückenbau zwischen Online- und Offline-Welten gestaltet. Der generationsübergreifende Dialog ging auf eine feine Idee von Mitveranstalter Rouven Kasten zurück. Er überredete nicht nur seinen Vater Bernd Kasten (66) dazu, erstmalig ein Barcamp zu besuchen; er fädelte auch ein, dass sein Vater und ich uns kennenlernten und gemeinsam eine Session anboten.
Das mit dem Alter stimmte zwar nicht ganz, aber Eltern auf ein Barcamp zu schleppen, ist nicht verkehrt.

Was das Internet alles kann: Silversurfer Bernd Kasten und Silvernerd Ilse Mohr machen gemeinsam eine Barcampsession. Foto: Rouven Kasten
Stolpersteine auf der Brücke über den digitalen Graben
Ich rede mir ja hier und anderswo den Mund fusselig, dass ich die Mitmachmöglichkeiten des Web und soziale Netzwerke auch für ältere Menschen als eine Bereicherung werte. Und dass wir die neuen Medien dann in die alten Menschen kriegen, wenn in beide Seiten des digitalen Grabens Bewegung kommt: Neugier bei noch webfernen älteren Menschen und Unterstützung durch jüngere Onliner. Obwohl ich selbst ü50 und Späteinsteiger bin, hat mich doch überrascht, von wie vielen weiteren Stolpersteinen ich hörte, die den Brückenbau erschweren.
Von der Angst das Internet zu löschen
„Ein ganz, ganz großes Problem ist Angst“, sagte ein Sessionbesucher über Erfahrungen mit seinen Eltern. „Das Problem meiner Eltern ist tatsächlich: Sohn. Ich habe das Internet gelöscht.“ Die Angst sei so groß, dass der Lerneffekt bei seinen Eltern extrem langsam sei, weil sie sich nicht trauen, mal auf einen Knopf zu drücken. „Ich müsste ihnen eigentlich mehr helfen, ihnen grundlegende Angst zu nehmen, den Rest können die alleine. Ich muss selber erstmal verstehen, wie die ticken.“
PC oder Tablet sind komplizierter als ein Auto
„Was, glaube ich, viele Ältere nicht begreifen oder nicht bereit sind zu akzeptieren, ist, dass ein PC oder auch ein Tablet so ziemlich das komplizierteste Gerät ist, das sie je in ihrem Leben in der Hand gehabt haben“, meinte Birgit Schultz, die seit mehreren Jahren an den Altenakademie Dortmund PC-Kurse gibt. „Dagegen ist ein Auto einfach.“ Sie versucht ihnen immer zu vermitteln: „Respekt soll man haben, aber Angst muss nicht sein.“ Und: „Man muss lernen und man muss langsam rangehen. Das Problem ist, glaube ich, bei vielen, die ihre Eltern anlernen oder Großeltern anlernen, dass sie sich einfach nicht auf das Lerntempo einlassen können oder wollen.“
Pädagogisches Brachland
Ungeduld mit älteren Menschen scheint aber nur ein Problem bei der Vermittlung sein. „Das Internet ist ja auch eine ganz andere Form des Lernens und Erlernens, als die, wie wir sie einmal in der Schule gelernt haben“, meinte eine Sessionbesucherin. Zu vermitteln, wie man sich selbst Kenntnisse aneignet, sei eine pädagogische Frage und keine Frage des Alters. Ihre Erfahrung sei auch, dass sich Menschen ab 50 Jahren lieber untereinander zusammensetzen. Und noch etwas sei zu berücksichtigen, wenn Ältere von Jüngeren unterrichtet werden: „Ältere stehen dann erstmals nicht als die Erfahrenen da.“ Den Umgang mit einer solchen Situation müsse man erstmal lernen.
Wischen statt drücken statt klicken
Geduld ist auch bei der Bewältigung rein haptischer Probleme gefragt. Erst sollte der Umgang mit der Hardware bewältigt werden, der Umstieg von einer Maus und einem Tastentelefon auf die Wischtechnik beispielsweise. Nicht so fest auf das Tablet drücken, bitte. Im zweiten Schritt erst sollte man zeigen: „Wie funktioniert das, was kann man damit machen“, riet ein Sessionbesucher.
Das Internet ist kein Allheilmittel
Bernd Kasten hat sich seit seinem Ruhestand im November 2013 von seinem Sohn ins Internet locken lassen und schaut sich seither auf Facebook um. Mehr als Zuschauer, wie er sagt, und mitunter etwas ratlos, wenn er liest, was so gepostet wird. Das Aha-Erlebnis, warum er daran teilhaben sollte, fehlt ihm noch. Und fürs Familienleben braucht er das Netzwerk schon gar nicht.
Sein Ansatz: „Man sollte Neugier für etwas Neues wecken, aber man sollte nicht so tun, als ob das das Allheilmittel wäre.“ Bernd Kasten schätzt durchaus, dass es einige Dinge im Internet gibt, die das Leben erleichtern, aber für ihn bleibt der persönliche Kontrakt sehr wichtig. Er möchte jemanden in die Augen schauen und unmittelbar erleben, wie jemand auf das reagiert, was er gerade sagt. „Das passiert mir im Internet nicht.“
Familienausflug ohne Internet und Smartphone
„Das Internet ersetzt mir nicht das persönliche Gespräch mit meinen Kindern, meiner Frau …“, sagte Bernd Kasten. „Ich möchte, dass auch die junge Generation nicht nur mir zeigt, wie ich mich im Internet bewegen soll.“ Er möchte auch umgekehrt erleben, was gerade in seiner Familie passiert ist, „dass meine Kinder meiner Frau zum Geburtstag einen Tagesausflug schenken. Ohne Internet. Ohne Smartphone. Das finde ich toll.“ Bernd Kasten nimmt noch gern seine Gitarre zur Hand oder schaut vom Segelboot den Wasservögeln zu. „Alles Dinge, die mir mein ausrangiertes Smartphone meines Sohnes nicht bieten kann. “
Auf das Miteinander kommt es an
Was sich Bernd Kasten von der jungen und der älteren Generation wünscht: „Dass man ein bisschen mehr aufeinander zugeht und sagt: Ich helfe Dir. Die Stärken des anderen aufnehmen und die Schwächen des anderen ausgleichen.“ Und da schließe sich der Kreis zu sozialen Medien. Bernd Kasten: „Helft den älteren Menschen ruhig; komm, wir machen das mal zusammen; dafür bohre ich Dir auch ein paar Löcher in die Wand, ohne dass wir gleich einen Maurer holen müssen.“ Er wolle weder das eine noch das andere verteufeln.
Für mich selbst schließt sich in diesem Sessionschlusssatz von Bernd Kasten der Kreis des digitalen und realen Miteinanders: Das Schönste an der Vielzahl auch neuer Verknüpfungen in den sozialen Netzwerken ist doch, dass man sich wie hier auf dem stARTcamp persönlich sieht und kennenlernt.
Die Session hat Rouven Kasten mit Persicope gestreamt und anschließend auf YouTube hochgeladen.
Liebe Ilse Mohr, ich habe mir erlaubt, Sie mit Ihrem wunderbaren blog auf meiner Webside zu erwähnen 🙂 siehe http://klaudiaguesten.com/50plus-was-geht-ab/ Herzliche Grüße
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