Ich finde es schwierig, mich im Sprachgebrauch des Web 2.0 zurechtzufinden. Es gibt Grabenkämpfe um das oder der Blog, entrüstete Aufschreie über den Begriff Netzgemeinde, und wehe, es wird getweetet statt getwittert. Ratlos lassen mich in Diskussionen und Kommentaren darüber vor allem Rechthaberei und Häme zurück.
These: Menschen, die „der Blog“ sagen, sind per Naturgesetz zum Scheitern verurteilt. #peerblog
— Mario Sixtus (@sixtus) 8. Februar 2013
Quelle: https://twitter.com/sixtus/status/300023225285476355
Seit der chaotischen Rechtschreibreform in den Jahren 1996 bis 2006 bin ich dudenabhängig. Wegen der vielen Änderungen, Varianten und Empfehlungen habe ich den Überblick verloren. Dauernd muss ich nachschauen, welche Schreibweisen veraltet sind, die ich als junger Mensch noch benutzt habe.
Neuere Begriffe schlage ich sowieso nach: das Blog, der Blog. Beides geht. Fall erledigt.
Ich entschied mich gefühlsmäßig für der Blog. Den männlichen Artikel empfand ich von seiner Lautstruktur gut passend zu dem kurzen und einsilbigen Wort, bei dem das Genus von das Logbuch und das Weblog nicht mehr so präsent ist und das ähnlich klingt wie der Block.
Voll das Fettnäpfchen!?
Damals hatte ich noch keinen Account bei Twitter. Seit Menschengedenken heiße es das Blog, schreiben dort Netzpuristen. Gewissen Wörterbuchmachern wird gar unterstellt, keine Ahnung zu haben.
@gutjahr Grundsätzlich gilt: wer „der Blog“ schreibt, gehört immer nach P. abgelegt. — anjam_DD (@anjam_DD) 13. Februar 2013
Quelle: https://twitter.com/anjam_DD/status/301629562125709312
aus aktuellem anlass: es heisst immer noch DAS blog.
— Heiko Hebig (@heiko) 3. Februar 2013
Quelle: https://twitter.com/heiko/status/298161448125870080
Ich bin verunsichert. 2006 wurde das Wort Blog erstmals in den Rechtschreibduden aufgenommen. Gleichzeitig wurden damals der Kurzform von das Logbuch im Web beziehungsweise von das Weblog der sächliche und der männliche Artikel zur Seite gestellt: das Blog, auch der Blog. Inzwischen schreiben wir das Jahr 2013. Auf Duden online steht: Blog, das oder der. Und noch immer wird mit der Verwendung des maskulinen Artikels gehadert.
Die Wirklichkeit – und nichts anderes spiegelte der Dudeneintrag schon damals wieder – hat die Verfechter von das Blog seither weit überholt. „Das Blog ist tot, es lebe der Blog“ ermittelte der Sprachwissenschaftler Anatol Stefanowitsch bereits 2011. Aktuell spuckt mir eine simple Googlesuche mehr als eine Milliarde Treffer für der Blog aus, während das Blog nur noch auf mehr als 200 Millionen kommt. Wer weiß, vielleicht bekommt das Blog eines Tages den Vermerk veraltet?
Beim Lesen von Blogs feststellen, dass man als Leser, der „das Blog“ sagt, offenbar eine Minderheit ist. Fast alle schreiben „der“. — Katja Wenk (@katjazwitschert) 22. Februar 2013
Quelle: https://twitter.com/katjazwitschert/status/304864215930400770
Die hartnäckige Dauerdebatte verwundert mich, andere nervt sie offensichtlich bloß. „Niemand von den jungen Aktivisten hat Lust sich mit 40-jährigen Besserwissern herumzuschlagen, die bei jeder Gelegenheit damit prahlen, wie geil doch Twitter vor vier Jahren war. Dass es unbedingt das statt der Blog heißt“, lese ich gerade bei John F. Nebel in seinem Beitrag „Die Netzgemeinde ist tot, lang lebe die Netzbewegung“.
Verwirrt hat mich auch die jüngste Belehrung über das Verb tweeten als verabscheungswürdiger Neusprechspuk und abzulehnender Ersatz für twittern. Eine nachhaltige Begründung habe ich dafür nicht gefunden. Warum sollte das englische Verb to tweet nicht auch im deutschen Sprachraum adaptiert werden wie retweeten auch?
Seit wann sagt man „wir tweeten“ statt „wir twittern“???
— Mike Schnoor (@MikeSchnoor) 11. März 2013
Quelle: https://twitter.com/MikeSchnoor/status/311223687472885760
Eine Rückfrage bei der Dudensprachberatung ergibt, dass das Verb tweeten schon in der Nachtragskartei gelandet ist. Dort werden neue Wörter gesammelt und somit als zumindest diskussionswürdig für eine potenzielle Aufnahme im Wörterbuch eingestuft.
Und nun? Als Newbie der Generation 50plus im Netz bleibe ich ratlos zurück und frage mich, ob und wo dort noch weitere Wortminen lauern. Und ich traue mich kaum zu sagen:
Jetzt gehabt Euch doch bitte nicht so unversöhnlich. Vom Yoghurt aus den 80er Jahren ist mir inzwischen nicht einmal mehr die Variante geblieben. Stattdessen hat sich zum Joghurt ein Jogurt gesellt. Auf Kriegsfuß stehe ich mit den Sauermilchprodukten deswegen nicht. Hauptsache, ihr Gehalt stößt mir nicht sauer auf.
Links:
Anatol Stefanowitsch über die Verschiebung von das Blog zu der Blog
David Stingl zur Frage nach dem korrekten Genus von Blog
Mike Schnoor über die Verben tweeten und twittern
John F. Nebel: Die Netzgemeinde ist tot, lange lebe die Netzbewegung!
Interview zum Genus von Blog auf dem Portal für Rechtschreibung
Pingback: Hashtag oder Waschtag? Immer dieser Schlamassel mit den Netzvokabeln. | Silvernerd
In der Realität hat eine Meinung aus dem Web die Bedeutung eines Tageskurses an der Börse – sie ist nur für den spezifischen Anlass und zu einem absolut speziellen Zeitpunkt relevant. Daher: Was heute im Web als richtig proklamiert ist, ist seit gestern bereits überholt. Deshalb ist es für die Gesellschaft auch von wenig großer Bedeutung, ob es nun ‚der Blog‘ oder ‚das Blog‘ lauten soll. Vermutlich bleibt am Ende nur Content erhalten. Welchen Namen er trägt ist dabei reichlich unerheblich.
Auch deshalb sind viele Ansichten der Internet-Meinungsmacher bereits bedeutungslos, bevor sie ihre Meinung überhaupt produzierten haben.