Google & Co. als Testamentsvollstrecker? Ich vererbe lieber meine Passwörter.

Ich habe meine Beerdigung nicht geregelt. Auch wenn es schon einen Grabstein mit meinem Namen gibt, weil ich so heiße wie meine Mutter. Die Hinterbliebenen sollen selbst entscheiden, ob und wo sie einen Platz für ihre Erinnerungen brauchen. Die Freiheit der Wahl wird auch für meine digitalen Präsenzen gelten. Dafür werde ich meine komplette Passwortliste hinterlegen und mich nicht auf komplizierte Kontoaktivitätsverfügungen verlassen.

Totenbretter

Blogposts und Tweets, Instagrams und Facebookupdates sind ebenso Zeugen meines Lebens wie Tagebücher und Fotoalben, Zeugnisse und Veröffentlichungen. Ich möchte nicht selbstherrlich Brücken in die Vergangenheit abreißen, die meinen Nachkommen vielleicht wichtig sind – um Antworten auf offene Fragen zu suchen, stumme Zwiesprache zu halten oder auf geteiltes Leben zurückzuschauen.

Wer je ein Elternhaus auflösen musste, der weiß, wie schön und wichtig es ist, Vermächtnisse zu haben, die über den Verlust geliebter Menschen hinwegtrösten. Ich vertraue dem Urteilsvermögen einer Generation, die mit dem Netz groß geworden ist. Sie soll selbst bestimmen, was sie wie sichern möchte und was nicht. Sie wird bewerten können, ob ein vernachlässigter Xing-Account geschrottet werden kann oder ein Blog zum Nachstöbern zunächst erhalten bleiben soll.

Für jeden Account schon jetzt und selbstherrlich eine automatisierte Verfügung zu treffen, finde ich nicht sinnvoll. Außerdem bedeutet das Orgakram ohne Ende, weil sich mein Leben im Netz dauernd verändert.

Die Zurückbleibenden sollen auch selbst wählen, ob und in welcher Form sie mich aus dem Netz verabschieden. Ob sie sofort löschen oder eine Todesanzeige einstellen, ob sie letzten Aktivitäten nachspüren oder Beileidsdialoge führen wollen. Manche Menschen sterben plötzlich, und es hilft aus der Bestürzung, wenn man letzte Tage und Pläne, letzte Gedanken und Kontakte nachvollziehen kann.

Auch digitale Präsenzen sind und werden Teil der Familiengeschichte und können eine Fundgrube für zeitgeschichtliche Recherchen sein. Darauf sollte die Generation, die ihre digital gewordenen Eltern beerdigt, ebenso Zugriff haben wie auf die analogen Schätze, die sie finden, durchsuchen und gegebenenfalls bewahren wird. Sicher wird das eine oder andere dabei sein, das nur mich etwas angeht. Aber das ist halt so.

Ich habe keine Zeit und keine Lust, mein Leben für den Fall der Fälle ständig zu bereinigen.  Mir kann es egal sein. Ich bin ja dann tot.

Im Falle der Familie Mohr hat mich die Geschichte gelehrt, dass jahrzehntealte Archivalien posthum Bedeutung erlangt haben. 2009 konnte meine Tochter für ihre Magisterarbeit auf urgroßväterliche Originaldokumente aus der Zeit der Weimarer Republik zurückgreifen, die noch in einem Berliner Keller lagerten. 2007 hat es meinen Großvater Carl Mohr (1878-1958) ins Internet gespült, einen seinerzeit bekannten Berliner Baumeister. Dank des umfangreichen Nachlasses konnte ich beim Aufbau einer privat initiierten Internetpräsenz über meinen Großvater behilflich sein, den ich persönlich nicht mehr kennengelernt habe.

Krankenhaus Reinickendorf von 1910

Also, macht mit meinen Accounts, was ihr wollt. Ihr kriegt die Passwörter. Aber nehmt euch für die Abwicklung alle Zeit der Welt.

Links:

Der Kontoinaktivitästamanager von Google

Grabstätte Mohr in Kreuzau

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