Digitalkompetenz fehlt in allen Generationen. Macht endlich etwas!

Studien zum Grad der Digitalisierung in Deutschland zu lesen, ist gruselig. In der Schule überlebt der Overheadprojektor, weil der wenigstens funktioniert. Arbeitnehmer müssen meist selbst dafür sorgen, dass sie auf dem Laufenden bleiben. Und im Altersheim fehlen Erklärbären und WLAN. So wird das nix. 7 Punkte, warum in Deutschland in mehr Digitalkompetenz investiert werden muss – quer durch ALLE Generationen.

  1. Digitalkompetenz: Die Überforderung wächst.

Die Welle der Digitalisierung schwappt schneller über unser Leben, als wir hinterherkommen können. Kompetenzen im Umgang damit ­– vom regelmäßigen Passwortwechsel bis zur reflektierten Nutzung von Suchmaschinen – hat in Deutschland 2016 sogar wieder abgenommen. Im aktuellen Digital-Index der Initiative D21 in Zusammenarbeit mit Kantar TNS ist der für Kompetenz ermittelte Wert auf 44 (Vorjahr: 49) gesunken. Das trübe Fazit der Initiative D21: „Mit der Komplexität der Digitalisierung kommt die Gesellschaft scheinbar zunehmend schlechter zurecht.“

D21-Digital-Index „Mit der Komplexität der Digitalisierung kommt die Gesellschaft scheinbar zunehmend schlechter zurecht.“

D21-Digital-Index 2016: „Mit der Komplexität der Digitalisierung kommt die Gesellschaft scheinbar zunehmend schlechter zurecht.“

Die Forderung der Initiative 21D lautet: „Wir brauchen daher eine systematische Aus- und Weiterbildung, die gleichermaßen von Politik und Wirtschaft vorangetrieben wird und die ganzheitlich im Bildungssystem verankert ist.“ Und mehr noch: Wir brauchen eine „Überforderungsbewältigungskompetenz“. Den Begriff äußerte Dr. Christoph Kucklick, Chefredakteur GEO, beim Fachkongress „Digitale Gesellschaft“ am 15. November im Bundeswirtschaftsministerium in Berlin, wo Details aus dem Digital-Index 2016 vorgestellt und diskutiert wurden.

  1. Wissensaneignung: Arbeitnehmer wursteln sich selbst durch.

Arbeitnehmer nehmen ihre Fortbildung überwiegend selbst in die Hand. Ausprobieren, Rumfragen bei Freunden und Kollegen und Nutzung kostenloser Tutorials im Netz sind gemäß Digital-Index 2016 der meistgenutzte Weg, um sich weiterzubilden. Schulungsangebote des Arbeitgebers geben nur 38 Prozent der Befragten als gewählte oder ermöglichte Variante an. 21 Prozent finanzieren ihre Schulungs- und Weiterbildungswünsche selbst. Fortbildungsbereitschaft ist also da, ganz offensichtlich steht ihr jedoch kein adäquates Angebot der Arbeitgeber gegenüber.

D21-Digital-Index2016: Fortbildungsbereitschaft bei Arbeitnehmern ist da, ihnen steht jedoch kein adäquates Angebot der Arbeitgeber gegenüber.

D21-Digital-Index 2016: Fortbildungsbereitschaft bei Arbeitnehmern ist da, ihnen steht jedoch kein adäquates Angebot der Arbeitgeber gegenüber.

Das Fazit der Initiative D21: „Es besteht daher dringender Handlungsbedarf, allen voran müssen nun ArbeitgeberInnen und das staatliche Bildungssystem reagieren. Die Wirtschaft muss stärker in Aus- (z. B. als duale Ausbildung) und Weiterbildung an den Digitalkompetenzen ihrer Beschäftigten arbeiten. Die Schulen müssen zunächst die Lehrkräfte ausbilden, um dann kommende Generationen fit für die komplexen Anforderungen einer digitalisierten Welt machen zu können.“

  1. Weiterbildung: Ältere Arbeitnehmer werden abgehängt.

Die Wurstigkeit von Unternehmen in Sachen Qualifizierung trifft volle Breitseite ältere Arbeitnehmer. Eine repräsentative Befragung des Digitalverbandes Bitkom unter Unternehmen in Deutschland  förderte im Sommer 2016 zu Tage, dass der Nachholbedarf an Digitalkompetenz zwar durchaus erkannt wird, aber keineswegs in entsprechende Weiterbildungmaßnahmen mündet.

6 von 10 Unternehmen (62 Prozent) gaben an, dass die eigenen Mitarbeiter in Digitalkompetenzen nicht weitergebildet werden. Nicht einmal jedes dritte Unternehmen (31 Prozent) hat eine zentrale Strategie, wie die Mitarbeiter Digitalkompetenzen erlangen sollen. Und jetzt kommt’s: Jedes dritte Unternehmen (33 Prozent) gibt an, dass eine solche Weiterbildung für Mitarbeiter, die älter als 50 Jahre sind, nicht sinnvoll sei.

Die Bereitschaft dazu ist aber da, belegt aktuell der Digital Working Report 2016 von Host Europe. Und sie sei keine Frage des Alters, sondern eher eine Frage der grundsätzlichen Befähigung im Umgang mit digitalen Technologien. Und ich meine: Einen digitalen Graben in der Arbeitnehmerschaft braucht kein Mensch. Ich glaube vielmehr, dass altersgemischten Teams die Zukunft gehört und habe das auch so in meinem Statement für den Digital Working Report  geschrieben.

  1. Schule: Ein Computerraum macht noch keine digitale Bildung.

Die Initiative D21 hat in diesem Jahr erstmals auch eine Sonderstudie „Schule Digital“ erstellt, die den Status Quo digitaler Bildung an weiterführenden Schulen in Deutschland ermittelt hat. Dafür wurden SchülerInnen, Eltern und Lehrkräfte befragt. Auch diese Ergebnisse sind ernüchternd: Veraltete und nicht ausreichende IT-Infrastruktur, fehlende professionelle IT-Administration, mangelnde Aus- und Weiterbildung der Lehrkräfte und fehlende strukturelle Verankerung verhindern ein effizientes Umsetzen im Unterricht.

„Die Rechner sind zu alt und zu langsam“, beschreibt eine befragte Lehrkraft ein Problem. „Daher kann ich mich zum Beispiel auf die Interaktiven Whiteboards nicht verlassen und mache dann halt doch eine Folie.“ Doch selbst eine funktionierende Ausstattung löst das Problem nicht. „Ein Computerraum macht noch keine digitale Bildung“, resümiert die Initiative D21. Die Mehrheit der Lehrkräfte (62 %) sieht zudem ihre eigenen mangelnden Digitalkompetenzen als Hürde für den Einsatz digitaler Medien im Unterricht.

D21-Digital-Index 2016: Veraltete und nicht ausreichende IT-Infrastruktur, fehlende professionelle IT-Administration und mangelnde Aus- und Weiterbildung der Lehrkräfte bestimmen noch an vielen weiterführenden Schulen die Vermittlung von Digitalkompetenz. Foto: Ilse Mohr

D21-Digital-Index 2016: Veraltete und nicht ausreichende IT-Infrastruktur, fehlende professionelle IT-Administration und mangelnde Aus- und Weiterbildung der Lehrkräfte bestimmen noch an vielen weiterführenden Schulen die Vermittlung von Digitalkompetenz. Foto: Ilse Mohr

„Deutschlandweit fehlt die strukturelle Verankerung digitaler Bildung in der Aus- und Weiterbildung. Die Vermittlung entsprechender Inhalte und Methoden im Studium sowie die Weiterbildung der Lehrkräfte sind weitgehend dem Zufall und dem persönlichen Engagement überlassen“, stellt die Initiative D21 fest. Sie fordert unter anderem Verbesserungen der Bildungsinfrastruktur an Schulen, Pflicht-Weiterbildungen für Lehrer, Medienpädagogik als prüfungsrelevanten Bestandteil in allen pädagogischen Ausbildungen und länderübergreifende Mindeststandards für Lehr- und Bildungspläne.

Für Lorenzo Tural Osorio, auf der re:publica 2014 mit 12 Jahren der jüngste Speaker, heute 15 Jahre alt, in der 10. Klasse und als Keynote-Speaker für disruptive Innovationen unterwegs, wird das zu spät kommen. „Man kann Digitalisierung nicht auf ein Schulsystem übertragen, das vor 200 Jahren aktuell war“, sagte er achselzuckend auf dem Fachkongress „Digitale Bildung“ der Initiative D21 in Berlin. „Das ist, als wollte man eine Android App auf iOS installieren.“

Auch Dr. Andreas Breiter, Professor für Angewandte Informatik an der Universität Bremen, bremste: „Schulen verändern sich langsam. Alles hängt mit allem zusammen. Schnelle Lösungen werden nicht funktionieren.“

„Ich bin genervt“, beschrieb Professor Dr. Gesche Joost das Dilemma. Die Botschafterin für Digitales der Bundesregierung für die EU möchte am liebsten nicht darauf warten, dass es ein Konzept gibt. „Einfach machen!“, rief sie dem Fachkongress zu.

  1. Onlinenutzung: Kompetenzmangel manövriert Ältere ins Abseits.

Ältere Menschen holen bei der Onlinenutzung auf. Bis 2014 gab es in der Altersgruppe 60 plus noch mehr Offliner als Onliner, stellt die ARD/ZDF-Onlinestudie 2016 fest. Das Verhältnis hat sich inzwischen deutlich umgekehrt: 2016 nutzten 57 Prozent der Menschen ab 60 Jahren das Internet „zumindest selten“; bei der „täglichen Nutzung“ sind es 45 Prozent. Der allergrößte Teil der rund elf Millionen Menschen, die das Internet nicht nutzen, ist ab 60 Jahre alt und nicht berufstätig bzw. in Rente.

Der Digital-Index 2016 hat auch in dieser Altersgruppe genauer hingeschaut. Dabei ist ihre Offenheit gegenüber digitaler Nutzung deutlich ausgeprägter als ihre Kompetenz für den Umgang, selbst bei den über 70-Jährigen. „Das ist eine erfreuliche Nachricht, zeigt sie doch, dass die Bereitschaft der Älteren, sich auf die neuen Möglichkeiten des Internets einzulassen, durchaus gegeben ist. Dieses Interesse sollte genutzt werden, um zu verhindern, dass ältere Menschen zunehmend digital abseits stehen.“

D21-Digital-Index 2016: Die Offenheit älterer Menschen gegenüber digitaler Nutzung deutlich ausgeprägter als ihre Kompetenz für den Umgang.

D21-Digital-Index 2016: Die Offenheit älterer Menschen gegenüber digitaler Nutzung ist deutlich ausgeprägter als ihre Kompetenz für den Umgang.

  1. Ruhestand: Altenheime ans Netz – Fachkräfte auf die Schulbank.

Wie aber vermittelt man Nichtnutzern und Wenignutzern erforderliche Kompetenzen für nützliche Anwendungen? Wer seine alten Eltern auf die digitale Schiene setzen will, weiß, dass das nicht einfach ist. Woran hapert es? Wo muss man ansetzen?

Die Stiftung Digitale Chancen will es jetzt genau wissen. Sie hat zusammen mit der E-Plus-Gruppe/Telefonica Deutschland seit 2012 Senioren in Alten- und Pflegeheimen, Begegnungsstätten, Seniorenresidenzen usw. für kurze und längere Zeiträume mit Tablets ausgestattet. Durch die Unterstützung der Mitarbeitenden vor Ort und den dauerhaften Verbleib von ein bis zwei Geräten in den Einrichtungen wird sichergestellt, dass Senioren dort auch künftig Tablets nutzen können.

Tablets für Senioren ist ein Projekt der Stiftung Digitale Chancen.

Tablets für Senioren ist ein Projekt der Stiftung Digitale Chancen. Foto: Ilse Mohr

2016/2017 gehen erneut rund 120 Tablets nach und nach auf die Reise durch insgesamt 32 Einrichtungen in Deutschland. Diesmal allerdings wird die Ausleihaktion durch ausführliche Befragungen der teilnehmenden Senioren begleitet und wird so zum Projekt „Digital mobil im Alter“. „Nur Geräte auszuleihen, reicht nicht“, sagt dazu Jutta Croll, Vorstandsvorsitzende der Stiftung Digitale Chancen. Das Projekt begleitet Professor Herbert Kubicek als Senior Researcher am Institut für Informationsmanagement Bremen (ifib), einem Forschungsinstitut der Universität Bremen. Er stellte das Projekt Ende Oktober im Basecamp Berlin vor.

„Wer macht was und warum?“, wollen die Interviewer von den Senioren wissen. „Warum sind einige Senioren aufgeschlossen, andere nicht?“ 300 bis 400 Befragungen sollen darüber Aufschluss geben. Die Ergebnisse werden im Frühsommer 2017 in einer Studie zusammengefasst. Eines aber postuliert Professor Kubicek schon jetzt: „Senioreneinrichtungen müssen ans Netz!“

Ohne Digitalkompetenz der Fachkräfte wird es auch hier nicht gehen. In ihrem 2015 veröffentlichten Erfahrungsbericht über ihr Projekt „Tablets für Senioren“ der Jahre 2012-2014 schreibt die Stiftung Digitale Chancen: „Strukturelle Qualifizierungsangebote für die Fachkräfte, beispielsweise über Weiterbildungsanbieter, Dachverbände der Senioreneinrichtungen und vor allem in den Ausbildungseinrichtungen, würden die frühzeitige Verankerung der Kompetenzen im Umgang mit dem Tablet und der individuellen Betreuung der älteren Menschen in Senioreneinrichtungen begünstigen.“

  1. Macht doch endlich voran!

Sigmar Gabriel, Bundesminister für Wirtschaft und Energie, hat am 17. November 2016 auf dem IT-Gipfel der Bundesregierung in Saarbrücken gesagt: „Bildung ist der Schlüssel zur Teilhabe an einer digitalen Welt: im Beruf, als Verbraucherin oder Verbraucher, als Bürgerin oder Bürger. Dabei reicht es nicht aus, kluge Konzepte lediglich zu diskutieren. Wir müssen jetzt handeln, um die digitale Bildung in Deutschland voranzubringen.“

Im Fazit der Initiative D21 zum Digital-Index 2016 lese ich: „Dass unsere Welt immer digitaler wird, erleben wir seit über zehn Jahren und doch haben wir in Deutschland bis jetzt versäumt, der Bevölkerung umfassende Digitalkompetenzen an die Hand zu geben und die Voraussetzungen zu schaffen, dem umfassenden Wandel kompetent und chancenorientiert zu begegnen.“

Links und Quellen:

Initiative D21

D21-Digital-Index 2016 der Initiative D21

Sonderstudie „Schule Digital“ der Initiative D21

Die Grafiken zum D21-Digital-Index wurden von der Initiative D21 als freie Lizenz unter https://www.flickr.com/photos/initiatived21/albums/72157665093399309 zur Verfügung gestellt.

Bitkom-Studie: Mehrheit der Unternehmen bildet eigene Mitarbeiter nicht zu Digitalthemen weiter

Stiftung Digitale Chancen: Tablets für Senioren 

ARD/ZDF-Onlinestudie 2016 

Digital Working Report 2016 von Host Europe: Bestandsaufnahme zur Digitalisierung von deutschen Büroarbeitsplätzen

Beitrag von Ilse Mohr im Digital Working Report 2016: Einen digitalen Graben in der Arbeitnehmerschaft braucht kein Mensch.

3 Gedanken zu „Digitalkompetenz fehlt in allen Generationen. Macht endlich etwas!

  1. Pingback: Fünf Spannungsfelder bei der Digitalisierung von Arbeit

  2. bin hier drüber eher zufällig gestolpert. ich bin ein sog. silversurfer/nerd, nenne es, wie Du möchtest. mein erstes OS war win 3.1 und da war ich schon über 40, als ich das installiert habe…jetzt aber meine frage: was genau ist denn digitalkommpetenz ? wissen, wie facebook geht oder aus einer DTP anwendung heraus einen flyer für die druckvorstufe machen oder ein excelsheet erstellen, mit dem man was anfangen kann ? das alles hat im jeweiligen kontext seine bedeutung, aber ist das die geforderte kompetenz ? und ein herr gabriel haut gerne mal schlagwörter raus, wie steht es denn mit seiner d-kompetenz ?
    ich kenne mittlerweile jede menge menschen, jünger als ich, manche älter, die keine d-kompetenz brauchen, weil sie noch nicht mal einen computer, geschweige denn einen netzzugang haben und wenn ich sie frage, warum nicht, dann bekomme ich oft zu hören: „brauche ich nicht, ich bin aber trotzdem ein glücklicher mensch“ und da komme ich dann ins grübeln…..

  3. Ich war letzte Woche mit 3 Leuten, zwischen 20-30 Jahren alt, bei einer Veranstaltung und danach wollten sie von einem Speaker herausfinden wie er genau heisst.
    Bekannt waren das Aussehen und der Name der Firma von der er Chef war. Sie waren nicht in der Lage in 15 Minuten den Namen online zu recherchieren. 2 der Leute haben ein abgeschlossenes Studium.

    Ich war wirklich entsetzt das sie davon überfordert waren.

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